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Richard Dawsons musikalische Chroniken

Vielleicht bin ich nicht weise genug, um über diese Musik zu schreiben. Vor meinem inneren Auge sehe ich Richard Dawson immer in einer gelbgoldenen, von Licht durchspielten Bibliothek sitzen, umgeben von Unmengen von Büchern. Es erstaunt mich immer wieder, wie er es trotz all der Verweise auf vergangene und zukünftige Zeiten schafft, mich genau in der Gegenwart zu treffen. Aus mikroskopisch kleinen, zeitlich und räumlich verorteten Momenten formt er künstlerische Erfahrungen, die zugleich transzendental und universell wirken.

Angefangen hat alles mit dem 2011 erschienenen Album «The Magic Bridge». Das Album basiert auf einer Gitarre, wie ich sie noch nie gehört habe, und einer Stimme, die manchmal an Robert Wyatt erinnert – jedoch ohne dessen Brüchigkeit. Es verbindet Elemente der nordenglischen Folktradition mit experimentellen Klängen. Im anschliessenden «The Glass Trunk» (2012) bringt Rhodri Davies eine zusätzliche Dimension in die Musik ein, indem die Grenzen zwischen traditioneller Folkmusik und zeitgenössischer Improvisation stärker verwischt. Das Album entstand als Auftragsarbeit für das Discovery Museum in Newcastle, wo Dawson gebeten wurde, auf Archivmaterial des Tyne and Wear Museums zu reagieren. 2013 folgt das symmetrische angelegte Album «Nothing Important» mit nur vier Stücken. Ein instrumentales Intro und Outro und zwei sechzehnminütige Songs dazwischen. Hier bahnt sich das Chaos endgültig seinen Weg.



Während «Peasant» (2017) im mittelalterlichen Nordengland angesiedelt ist und «2020» (2019) von alltäglichen Geschichten geprägt ist, beschreibt Dawson im dritten Teil seiner losen Trilogie, «The Ruby Cord» (2022), eine imaginäre Dystopie. Es sind immer wieder diese kleinen Nuancen, die faszinieren. Wer sonst nennt auf drei Alben in Folge den vorletzten Track stets «No-one» – und legt ihn jedes Mal als Instrumentalstück an? Oder wählt als Opener mit «The Hermit» einen einundvierzig Minuten langen Song?



Soeben erschien sein mittlerweile achtes Album «End of the Middle» (2025). Es beschäftigt sich mit mehreren Generationen einer Familie und untersucht, wie sich Verhaltensmuster im Laufe der Zeit wiederholen. Dawson beschreibt das Werk als klein und häuslich, mit dem Ziel, die Texte und Melodien für sich sprechen zu lassen. Die Lieder erzählen dabei von alltäglichen Situationen und Emotionen. Das reduzierte Schlagzeugspiel von Andrew Cheetham und die einfallenden Klarinettentöne von Faye MacCalman unterstützen diese stille Intensität.

Neben seinen Soloalben hat Richard Dawson auch in verschiedenen Nebenprojekten neue Wege beschritten. Da ist die Ambient-Serie, die er zusammen mit Sally Pilkington während der Corona-Pandemie unter dem Namen Bulbils ins Leben rief. Unter diesem Namen wurden bis heute rund achtzig digitale EPs sowie zwei Musikkassetten veröffentlicht. Dann gibt es das Projekt Hen Ogledd, das Richard mit dem Harfenisten Rhodri Davies gegründet hat. Später wurde die Gruppe um Dawn Bothwell und Sally Pilkington erweitert. Ihr Live-Konzert, das während des Lockdowns ins heimische Wohnzimmer gestreamt wurde, und unsere Kinder, die dazu im Wohnzimmer herumhüpften, werden unvergesslich bleiben. Schliesslich ist die Zusammenarbeit mit der finnischen Band Circle zu erwähnen, die 2021 in das Album «Henki» mündete.



In ihrer einfachen, unprätentiösen Freude ist Richard Dawsons Musik ein Geschenk für die Seele.

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