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Anohnis Hopelessness – Musik für unsere Zeit

Als «Hopelessness» 2016 erschien, konnte ich nichts damit anfangen. Mir fehlte die Wärme, die frühere Antony and the Johnsons-Alben so unverwechselbar gemacht hatte. Also verschwand es im Regal.

Jahre später stiess ich zufällig auf ein kurzes Tiny Desk-Konzert. Als regelmässiger Leser der Kommentarspalten auf YouTube fiel mir sofort auf: Die Kommentarfunktion war deaktiviert. Auch 2025, oder vielleicht gerade 2025, reicht der Auftritt einer trans Person noch immer aus, um Menschen zu provozieren und zu unverständlichen Ausfällen zu treiben. Das hinterlässt eine buchstäbliche Hopelessness, wie der zweite Song des Auftritts, jener Song, der mir nun plötzlich die Brücke zu diesem Werk von 2016 schlug. Gespielt mit sechsköpfiger Band, entfaltete er eine Klarheit, die mich tief traf.

So kam es zu meiner eher zufälligen Wiederentdeckung von «Hopelessness». Das Album, co-produziert von Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never, ist dabei kein klassisches Protestalbum. Es ist eine politische Klage in elf Kapiteln über Krieg, Klimakatastrophe, Überwachung, patriarchale Gewalt, Kapitalismus, Entfremdung und zugleich ein zutiefst persönliches Bekenntnis.

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Anohni singt nicht aus sicherer Distanz. Sie stellt sich selbst in den Schussbereich: als Bürgerin des Westens, als Konsumentin, als Mitverantwortliche. Diese Selbstanklage macht das Album so schmerzhaft ehrlich.

Es erhebt uns nicht, sondern erinnert uns an das, was verloren ist und an das, was wir vielleicht nie wiederfinden werden.

Vielleicht wird nun dieser Text für jemanden zur Brücke zu diesem Album. Ich würde es mir wünschen.

Zum Schluss möchte ich noch auf den Song «Sliver of Ice» hinweisen, der auf dem Nachfolger «My Back was a Bridge for you to Cross» zu finden ist. Eine Würdigung an Lou Reed, durch den ich Anohni an einem Konzert in Avenches überhaupt erst kennengelernt habe.

#music